Eine Kirchenführung der besonderen Art in St. Laurentius
oder: Wie interessiert man Menschen für die Kirche, die ihr sonst fernbleiben?
Es regnet in Strömen. Auf den Stufen, die zur Laurentiuskirche führen, stehen neben weit geöffneten Türen rechts und links zwei Kerzen. Das Innere ist dunkel, die Luft klamm und staubig. Schemenhaft sieht man Baugerüste, der Altar ist mit Planen verhüllt. Staub kitzelt in der Nase, und das Knirschen der Holzbank hallt in dem großen Raum wider. Eine Handvoll Menschen sind hier. Hinter dem Altar wer-den Stühle aufgestellt. Eine Kerze wird angezündet und an dieser Kerze zünden die fünf Menschen, die sich dort versammelt haben weitere Kerzen an. Es ertönt ein Sprechgesang, andere Stimmen fallen ein, wechseln sich ab, und füllen nach und nach den Kirchenraum. Langsam verdrängt der Duft von Weihrauch den Staubgeruch. „Sie können auch mitsingen“, hieß es. Aber Zuhören ist dann doch leichter, vor allem, wenn man mit den Texten und der Melodie nicht vertraut ist. Schließlich sind wir eigentlich hierher gekommen, um durch die Kirche geführt zu werden. Doch wir fragen uns, was denn gezeigt werden soll, wenn alles mit Planen verhängt ist.
Was wir eben noch gehört und gesehen haben, ist eine Vesper, das katholische Abendlob, bei dem am Ende eines Tages die Lichter entzündet und Psalmen gesungen werden. In St. Laurentius geschieht das in der dunklen Jahreszeit jeden Donnerstag um 18.30 Uhr. Es ist nur eine der Aktionen der katholischen Citykirche Wuppertal, mit denen sie die Menschen der Stadt, Kirchen- und Gemeindeferne erreichen möchte. Gemeint sind Katholiken, die den Gottesdienst nur selten oder gar nicht besuchen und Nicht- oder Andersgläubige. „Es kommen auch Moslems zu den Führungen“, sagt Dr. Werner Kleine, der die mystagogischen Kirchenführungen anbietet. Mystagogisch bedeutet, dass der Kirchenraum als Kultraum erkundet, seine symbolische Bedeutung und Benutzung erfahren werden soll. Werner Kleine ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Der Doktor der Theologie ist seit 2004 Pastoralreferent für die katholische Citykirche Wuppertal. Er hat inzwischen das Licht in St. Laurentius angemacht und verabredet sich mit uns draußen vor der Kirche. Elf Personen stehen, mit Schirmen bewaffnet, im Halbkreis um ihn herum und hören zu – wie in einer gewöhnlichen Kirchenführung. Werner Kleine erklärt mit Sachverstand, Engagement und Witz. In dieser Führung geht es jedoch nicht um kunsthistorische Erklärungen, von der Funktion des Raumes und seiner Ausstattung erzählt der Theologe.
Am 11. September 2004 hat die katholische Citykirche in Wuppertal ihre Arbeit aufgenommen. Sie sucht neue Wege der Begegnung, möchte auf den Straßen und Plätzen der Stadt den Kontakt zu den Menschen finden. Hintergrund ist die vermehrte Entfremdung von der Kirche, die sich auch in Kirchenaustritten zeigt. Im Jahr 2007 sind deutschlandweit 93.667 Katholiken aus der Kirche ausgetreten, dagegen nur 4.881 neu und 10.207 wieder eingetreten. Zudem haben die Gemeinden durch den gesellschaftlichen Wandel, in dem Mobilität und Kommunikation gefragt ist, an Bedeutung verloren, so der Wortlaut der Citykirche. Die Kirchenbänke in den Gottesdiensten bleiben leer. Lediglich 13,7 Prozent aller katholischen Gläubigen besuchten 2007 die Messe. In Wuppertal gibt es 23 Prozent Katholiken. “Die meisten kann man jedoch als der Kirche fernstehend bezeichnen“, sagt Werner Kleine. Etwa jeder fünfte Wuppertaler Katholik habe hin und wieder etwas mit der Kirche zu tun und nur jeder zehnte besuche den Gottesdienst.
Wir betreten das Innere – mit Psalmengesang. Diejenigen, die schon früh da waren, erkennen Werner Kleines Stimme wieder. Etwas später stehen wir zu zehnt, eine Frau ist zwischenzeitlich gegangen, um den Altar. Die Plane ist zur Seite geschoben und wir werden aufgefordert den Altar wortwörtlich zu begreifen. Zwei der An-wesenden fassen zögerlich zu. Die tief ein-geschnittenen fünf Kreuze sind deutlich zu spüren. Staub und Sand kratzen über den kühlen Altarstein. Als Manna, das legendäre Brot aus der Bibel herumgereicht wird, nimmt sich jeder ein kleines Stück. Während wir hören, wie dieser weiße Baumharz entsteht, probieren wir. Es schmeckt süß, ein wenig wie Traubenzucker. Vor dem Tabernakel, dem Allerheiligsten, riechen wir an Weihrauchkörnern, die mit Sandelholz und vielleicht Rosmarin vermischt sind. Zum Klang von Psalmengesang zündet jeder etwas von dem Weih-rauch an. Rauchschwaden steigen nach oben und ein intensiver Geruch breitet sich aus.
Die katholische Citykirche möchte mit Aktionen wie der mystagogischen Führung der Entfremdung von der Kirche entgegenwirken. Ich frage Werner Kleine nach weiteren Aktivitäten und er berichtet von Informationsständen, die regelmäßig in den Fußgängerzonen von Elberfeld und Barmen aufgestellt werden, von einer zukünftigen Laserprojektion, in der der Altar von St. Laurentius in den Kirchenraum projiziert wird und von dem Vorhaben, Filme an der Gewölbedecke der Kirche zu zeigen. Auch werde er weiterhin aktuelle Themen aufgreifen und zu Gesprächen einladen, mitunter an ungewöhnlichen Orten. Am 08. Juni hält Werner Kleine um 18.00 Uhr in dem Kölner Bankhaus der Pax-Bank einen Vortrag zur Finanzkrise mit dem Titel „Paulus und das Geld“. Ich frage, ob sich die Arbeit bisher gelohnt hat: „Ja – Die Führung zum Beispiel findet mindestens zwei Mal im Monat und nur in Wuppertal statt. Seit 2004 haben etwa 4000 Menschen daran teilgenommen. Heute Abend waren welche zum dritten Mal da. Der Rekord liegt bei fünf mal. Und 2005/2006 gab es in der Citypastoral 30 Kircheneintritte“, sagt er und lächelt. Übrigens, in dieser Führung waren sechs der Besucher katholisch, vier waren andersgläubig oder kirchenfern.
Am Ende der Führung reichen wir die Flamme der Osterkerze von Kerze zu Kerze weiter. Die Stimmung ist freundlicher, entspannter, sinnlicher. Wir wünschen uns alles Gute und gehen unserer Wege. Wir haben gehört, gefühlt, geschmeckt und gerochen. Mit Regen, Psalmen und Kerzenlicht begann der Abend, und so endet er auch.
Anke Mengel
Weitere Informationen zu den mystagogischen Kirchenführungen in Wuppertal erhalten Sie auf der Homepage der Katholischen Citykirche Wuppertal.
Informationen zum Konzept der mystagogischen Kirchenführungen finden Sie auf www.pastoralservice.de.
Wir veröffentlichen diesen Gastbeitrag mit freundlichen Genehmigung der Autorin Anke Mengel.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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